HAMBURG/ GÖTTINGEN. Die landwirtschaftlichen Berufsvertretungen Freie Bauern und Land schafft Verbindung (LsV) gehen juristisch gegen die Behauptung vor, sie würden eine Nähe zum Rechtsextremismus vorweisen. Hintergrund ist ein Interview mit einer Mitarbeiterin der Universität Göttingen zu den Bauernprotesten, das am Mittwoch in Nachrichtensendungen des NDR lief.
Darin äußerte die Agrarsoziologin Janna Luisa Pieper, es gebe neben der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die eher grüne Positionen vertrete, „auch rechtere Vereinigungen wie zum Beispiel die Freien Bauern oder LsV, die rechtspopulistische bis hin zu rechtsextreme Positionen vertreten“.
Pieper wiederholte in dem Interview später noch einmal, daß es „in der Landwirtschaft rechtsextreme und rechtspopulistische Tendenzen“ gebe. So sei das LsV-Mitglied Anthony Lee in der Vergangenheit angeblich „durch rechtsextreme bis rechtspopulistische Äußerungen“ aufgefallen oder auch „durch andere Verknüpfungen zum Beispiel mit der AfD und der Landwirtschaft“.
Christian Lohmeyer fordert vom NDR & Dekanat der Fakultät für Agrarwissenschafzen Uni GÖ eine Erklärung. Anlass ist die Ausstrahlung eines Beitrags von Janna Luisa Pieper gestern bei „Hallo Niedersachsen“, die #FreieBauern, LSV & Anthony Lee dem rechtsextremen Spektrum zuordnet. pic.twitter.com/36gucWIAV2
— Ŋīmæ (@NimaOgR) February 8, 2024
Innenministerin: Keine Erkenntnisse über Rechtsextremismus
Wie der von den beiden betroffenen Verbänden beauftragte Rechtsanwalt Stephan Stiletto auf Facebook mitteilte, hat seine Kanzlei daraufhin zwei Abmahnungen an die Göttinger Wissenschaftlerin verschickt, da ihre Aussagen „bestenfalls unüberlegt, in jedem Fall aber rechtswidrig“ seien. Sollte die Agrarsoziologin keine strafbewehrte Unterlassungserklärung unterzeichnen, werde man eine einstweilige Verfügung beantragen, kündigte der Anwalt an.
Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) hatte einen Tag nach den Aussagen Piepers ebenfalls im NDR betont, man könne aufgrund der Erkenntnisse des niedersächsischen Verfassungsschutzes nicht feststellen, daß die Freien Bauern oder Land schafft Verbindung extremistisch unterwandert seien.
Landwirt widerspricht Darstellung entschieden
Landwirt Anthony Lee, der als niedersächsischer Spitzenkandidat für die Freien Wähler bei der Europawahl antritt, beklagte in einer Reaktion auf die Anwürfe Piepers, es gehe bei solchen Debatten nie um Inhalte, sondern es würden stattdessen immer Personen diffamiert, in bestimmte Ecken gestellt, um sie mundtot zu machen.
Für die Freien Bauern war die Sendung mit den Aussagen Piepers auch deswegen nicht nachvollziehbar, weil sie ausgerechnet an einem Tag liefen, „an dem Vertreter aller Landtagsfraktionen und auch die grüne Landwirtschaftsministerin auf einer Veranstaltung der angeblichen Rechtspopulisten in Hannover gesprochen haben“.
Fakultät nimmt Pieper in Schutz
Unterdessen hat sich am Montag auch die Fakultät für Agrarwissenschaften der Universität Göttingen, an der Pieper in diesem Streit zu Wort gemeldet. Pieper, die „seit vielen Jahren zum Thema Wandel in der Landwirtschaft“ forscht und „in diesem Rahmen auch zu populistischen Tendenzen publiziert“, sei nach der Ausstrahlung des Interviews, das „verkürzt und teilweise verfälscht verbreitet“ werde, „in vielfältiger Form, insbesondere in den sozialen Medien, angegriffen worden“, heißt es in der Stellungnahme.
Die Fakultät „verurteilt diese öffentlichen und privaten Anfeindungen auf eine Wissenschaftlerin auf das Schärfste“, schreibt der zuständige Dekan, Stephan von Cramon-Taubadel. In dem nun für viel Kritik sorgenden Interview habe sich die Agrarsoziologin „auf Basis ihrer wissenschaftlichen Expertise“ geäußert. Dabei handele es sich nicht um ihre persönliche Meinung, sondern „um wissenschaftlich gewonnene Schlußfolgerungen, die empirisch und theoretisch fundiert sind“, heißt es im Schreiben des Professors.
CDU fordert Aufklärung im Landtag
Als Wissenschaftlerin an einer Universität arbeite Pieper „unter dem Schutz der grundgesetzlich geschützten Wissenschaftsfreiheit“. Dazu gehöre es, Forschungsergebnisse in den gesellschaftlichen Dialog einzubringen. Diese Äußerungen dürften selbstverständlich kritisiert werden, Drohungen, Aufforderungen zu Kündigungen oder Haß-E-Mails stünden jedoch außerhalb des zulässigen Rahmens, so von Cramon. Der Professor für Agrarpolitik ist Ehemann der früheren Bundestagsabgeordneten und jetzigen EU-Parlamentarierin Viola von Cramon-Taubadel (Grüne).
Mittlerweile hat die niedersächsische CDU-Landtagsfraktion eine Unterrichtung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur durch die rot-grüne Landesregierung zu den Forschungsergebnissen Piepers gefordert. (vo)